Sunday, 09.08.2009
20:00h
Jahrzehnte lang hat LUDWIG HOHL (1904 – 1980) in krassester Armut in einem Genfer Kellerloch verbracht. Nicht nur am eigenen Leibe hat er Not und Hunger gelitten; fehlendes Geld für Heizung, Beleuchtung und Papier haben auch Hohls künstlerische Arbeit extrem belastet. Allen widerlichen Umständen zum Trotz, hat Hohl aber mit fast heiligem Ernst und einer Entschlossenheit, die ans Ungeheure grenzt, ausschliesslich für die Kunst gelebt. Am Ende ist er für sein Werk sogar gestorben.
Es fragt sich also, wo der verbissene Eifer dieses an die Kunst verlorenen Sohns eines Pastoren herrührte. Diese Frage verweist auf eine fundamentalere Frage, auf die jede(r) Kunstschaffende und über Kunst Reflektierende sich Klarheit verschaffen muss: "Kunst - was ist das? was soll das? Und vor allem: was habe ich damit zu tun?"

Ludwig Hohl, 1904 - 1980
Ludwig Hohl hat darauf eine radikale, theoretische Antwort gegeben, die sein gesamtes künstlerisches Schaffen anschaulich und sein Lebenswandel existenziell illustriert. Hohls Kunstauffassung läuft in der Hauptsache auf eine Synthese von Kunst und Philosophie heraus. "Künstler", sagt Hohl, "sind auch Spezialisten, nämliche des Wesentlichen. Künstler sind Spezialisten der Philosophie." Das Verbindende sieht Hohl darin, dass nicht nur Philosophie, sondern auch die Kunst Erkenntnis generiert, wobei als Königsweg der Erkenntnis aber nicht ein logisch-philosophisches Kalkül, sondern die Rückbesinnung auf die schöpferische Arbeit des Künstlers gilt. Wenn wir dieser Auffassung von Hohl folgen wollen, so werden wir unweigerlich in ein spannungsvolles Verhältnis zu unserer Umwelt verrückt. Insofern wir nämlich Erkennende sind, sollen wir die Welt dem Besseren entgegen verändern, insofern wir aber Künstler sind, können wir das doch nicht! – Sollen wir? Können wir nicht? – – – ?
"Zwischen diesen zwei Gegebenheiten: erstens der Tatsache, dass man mit seiner künstlerischen Arbeit ( in der Richtung der Erkenntnis, im Sinne der inneren Resultate dieses Arbeitens) die umgebende Welt, die Nächsten nicht ändern wollen darf (denn versucht man es doch, so verzweifelt, erstickt man daran; Beispiele dafür wären in jeder wirklich künstlerischen Existenz zu finden); und, zweitens, der Tatsache, dass ein künstlerisches Arbeiten aber nicht ernst (echt) sein kann, ohne die Welt ändern zu wollen: zwischen diesen zwei Gegebenheiten besteht eine Dissonanz von ungemeiner Schwere". (Ludwig Hohl: Die Notizen oder Von der Unvoreiligen Versöhnung)

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"Ästhesen" beabsichtigt künstlerische Praktikerinnen und ästhetische Theoretikerinnen im Rahmen eines öffentlichen Anlasses miteinander kurzzuschliessen und damit eine Schnittstelle für eine gemeinsame theoretische Reflexion jenseits von Feuilleton oder Akademie zu eröffnen. Die Form orientiert sich primär am Dialog, inhaltlich soll es um aktuelle ästhetische Problemstellungen gehen. Ziel ist es, dass sich ein reflexives und vermittelndes Gespräch mit Bezug zur zeitgenössischen Kunst entfalten kann, an dem die verschiedenen Protagonistinnen des Kunstsystems gleichermassen teilnehmen und von einander profitieren, indem sie nicht nur über einander, sondern auch miteinander reden.
Die Diskussion wird jeweils mit einer Eingangsthese initiiert, die von einer eingeladenen Person vorgestellt wird. Im Anschluss werden Fragen, Beobachtungen und Phänomene gemeinsam diskutiert werden. Die vorgestellte These soll auf einer pointierten Fragestellung basieren oder einem scheinbaren Widerspruch im Kunstsystem, der ein Mindestmass an theoretischem Problembewusstsein und Hintergrundwissen voraussetzen kann, zugleich aber losgelöst von systematischen Theorien bzw. ohne deren fundierte Kenntnis erörtert werden kann.
Konzeption: Imre Hofmann in Zusammenarbeit mit Corner College